Mittwoch, 24. August 2016

Macht Schreiben einsam?

Wahrheiten jenseits von Mystik und Verteufelung



So mancher verteufelt das Autorengeschäft mit der mehr oder weniger expliziten Behauptung: „Die Schriftstellerei ist ungesund, macht einsam und führt nur allzu oft in den Wahnsinn.“ – Was ist dran an dieser durchaus verbreiteten Ansicht?

Jüngst las ich im „Magazin“ (Nr. 26/2016) über die Entstehung von Gabriel García Márquez’ Jahrhundertroman „Hundert Jahre Einsamkeit“ (veröffentlicht 1967). Da stand, der Schriftsteller habe beim Schreiben 60 Zigaretten pro Tag geraucht. Er und seine Familie seien nach Beendigung des Manuskripts derart verarmt gewesen, dass sie das Porto zum Versand des Buchmanuskripts an den Verleger kaum mehr zusammenbrachten. Márquez sagt: „Achtzehn Monate lang stand ich nicht mehr vom Schreibtisch auf.“ So anekdotenhaft das Ganze anmutet, die Radikalität des Prozesses dürfte glaubwürdig dargestellt sein. Dennoch sieht Márquez auf Fotos  stets wie eine Frohnatur aus.  Des Autors Glück: Er hatte Erfolg mit seinem Schreiben wie kaum ein anderer vor ihm. Und er hatte eine Familie, die seine Schreiberei respektierte und mittrug. 

Nicht alle haben den  Rückenwind und den Mut eines Gabriel García Márquez. Der deutsche Krimi-Erfolgsautor Andreas Eschbach jammert auf seiner Website über sein Los. Bei Eschbach klingt es zum Beispiel so: „Schriftsteller führen in erster Linie ein einsames Leben. Man verbringt den größten Teil seiner Zeit allein in einem stillen Zimmer und schreibt. Und wenn man mit anderen zusammen ist, kann es sein, dass das, was man geschrieben hat, so in einem weiterarbeitet, dass man auch nicht so richtig da ist und seltsame Blicke abbekommt.“  

Die Antithese zum deutschen Pessimisten ist die Amerikanerin Julia Cameron, Guru für esoterisch angehauchte Kreative. In ihrem Buch „Right to write“ („Von der Kunst des Schreibens“) führt sie aus: „Eine der gravierendsten Schreibhemmungen scheint mir die Angst vor der Einsamkeit zu sein.“  Sehr treffend korrigiert sie die Halbwahrheit dieser Angst: „Wenn ich geschrieben habe, kann ich im Augenblick präsent sein, anstatt mich wie der nichtschreibende Schriftsteller [sie spricht in ihrem Buch „Der Weg des Künstlers“ auch von „Schattenkünstlern“, Anmerkung M.O.] ständig an diesem zwielichtigen Ort aufzuhalten, an dem man immerfort etwas anderes tun ‚sollte’.“ 

Halten wir fest: Professionell zu schreiben erfordert unter Anderem den Mut, sich der Einsamkeit zu stellen. Das kann Befriedigung verursachen, jedoch mitunter auch Probleme. Wer nicht das Ziel verfolgt, einsam zu sein und sich abzuschotten, wird sich vernetzen und in den entscheidenden Momenten seines Lebens voll da sein.
Die Einsamkeit des Schriftstellerdaseins ist vor allem eine Ausrede, um nicht durch die „enge Pforte“ zu müssen, um einen Umweg ums Nadelöhr jeglicher ausgesuchten Kunst zu finden. Jeder, der im Leben besondere Ziele anstrebt, zahlt dafür einen Preis. Wer sich diesen Fakten mit Selbstverantwortung stellt, wird seinen Weg finden.




Samstag, 25. Juni 2016

"Von der Notwendigkeit guter Fundamente"

Wie du die Sache angehst, so wirst du sie auch beerben


Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen.
(Anton Bruckner, österreichischer Komponist)


Grossbritannien verlässt die Europäische Union. - Ist das die Rache der britischen Stimmbürger dafür, dass es die EU lange an demokratischer Legitimation hat mangeln lassen?
Seit Januar 2015 schreibe ich an einem Buch. - Wann es fertig sein wird? Wie soll ich das wissen? Fertig wird es sein, wenn der Prozess zuende ist.

Der bosnische Autor Dzevad Karahasan hat dem Vernehmen nach elf Jahre an seinem historischen Ideenroman "Der Trost des Nachthimmels" über den persischen Astronomen Omar Chayyam und das Seldschukenreich geschrieben. - Die Lektüre sprengte meine Horizonte. Obwohl Karahasan mit "Der Trost des Nachthimmels" sein x-tes Werk vorlegt, ist der Text nahrhaft, reich, frisch und visionär.
Seit April lasse ich mich coachen, um die Marke meiner Schreib- und Achtsamkeitsangebote neu zu erfinden. - Jetzt erst entstehen tröpfchenweise die ersten Texte aus dem Prozess. Es fühlt sich an, als könnte ich ganz bewusst einen Wasserhahn auf- und zudrehen. Und das, ohne dabei einen wertvollen Tropfen Flüssigkeit zu vergeuden.


Dass sich Investitionen in Langfristiges auszahlen, ist meine feste Überzeugung.
Wenn sich manche Entscheidungen einsam und widerspenstig anfühlen, ist dies darum noch lange kein Grund, sie über den Haufen zu werfen.




Mittwoch, 1. Juni 2016

"Rückschau auf den Haiku-Workshop vom 28.5."

Wertvorstellungen bitte an der Garderobe abgeben! 

 

Wer Haikus aus dem Geiste des Zen entstehen lässt, begibt sich in ein Abenteuer. Ein Teil davon verbirgt sich hinter dem Etikett "Freiheit von Werten und Urteilen". So war's auch diesmal beim Haiku-Schreiben vergangenen Samstag an der Malzgasse 9.

Ein Teilnehmer meinte: "Wertfrei zu werden bedeutet ja, dass wir unsere ganze Grundhaltung ablegen müssen."  - Ja, so ist es! --

Ich selbst kam diesmal auch zum Mit-Dichten. Die Erfahrung dieser Haiku-Werkstatt brachte mich zur Hypothese: Nur wenn das Haiku ganz konkret und prägnant ist, kann sich den Lesenden/Zuhörenden hinter dem Ausgesprochenen das Unaussprechliche offenbaren. 

Entstanden aus dem Prozess gezielten Umschreibens:

Kräuselndes Wasser
Berg und Himmel im Spiegel
Schwalben in der Luft

Die poetische Verarbeitung achtsamen Essens klang - beim zweiten Versuch - so:

Gaumen öffnet sich 
Dem ledrigen Fruchtstück
Geduldig und gern


 Das nächste Haiku-Schreiben findet am 20. Mai 2017 statt.


Dienstag, 17. Mai 2016

"Märchen – therapeutisches Schreiben"

Aus meinem entstehenden Praxisbuch


Das Märchen ist zeitlos („Es war einmal“) und muss sich nicht an realistische Begrenzungen halten. In seiner unbedarft-kindlichen Weisheit vermag das Märchen Widersprüche zu versöhnen, seelische Konflikte und „Geheimnisse“ in eine Formel, einen Zusammenhang, in Kohärenz zu bringen.


Wer kennt es nicht, das mutige Geschwisterpaar Hänsel und Gretel, das im dunklen Wald aus Hunger im verführerischen Lebkuchenhäuschen  der Hexe landet, die Menschenkinder frisst. Gretel, ursprünglich ängstlicher als ihr grosser, erfindungsreicher Bruder, vollbringt  endlich die grosse Tat, die böse Hexe im brennenden Ofen zu töten, ehe diese die Geschwister verzehrt. 


Das Märchen als Weggeschichte ist therapeutisch. Der ganz Schwache (Gretel, Gretchen!), der Naive, ist ihr Held. Freundschaft und Liebe weisen den Ausweg. Alles ist heilbar. 

Mittwoch, 11. Mai 2016

"Ruhig werden (über das Kurzgedicht Haiku)"


Aus meinem entstehenden Praxisbuch



Ist für dich klar, was wirkliches Sehen bedeuten würde?  Es bedeutete, dass du das, was vor dir ist, wenn du die Augen öffnest – der landläufige Begriff des Sehens ist ja gebunden an offene Augen (worüber man sich streiten könnte) – auf eine reine, ursprüngliche, unverzerrte Art sähest.

Ein reines Sehen, der ursprünglich-unvernebelte Blick, unverfälscht und wach, der primordial view (Ur-Blick) ist sowohl eine Richtung, zu welcher uns die Haltung des Nicht-Urteilens verhelfen kann, wie auch das Training von Konzentration, von Sammlung; wörtlich: von Einmittung, von einem Zusammenziehen.





Möwen. Das Wasser
Spritzt und die Gischt schmeckt salzig.
Der Orkan ist da

Es ist nass und kalt,
ein dunkler Februartag,

Donnerstag, 31. März 2016

"Drauflos, aber nicht ziellos"


Prozessorientierung als tätig-ruhendes Herz der Praxis


Was braucht es, damit wir uns in einem Handwerk als Könner erweisen? Wir müssen fähig sein, dieses auf eine flüssige, kohärente Art auszuüben.
Dies führt uns zu Fragen des Prozesses.
Was im handwerklichen Prozess geschieht, muss uns selbst gemäss sein und zugleich der Sache gerecht werden.  Sowohl Angemessenheit wie auch Technik sind wichtig.
Warum ist es ausserdem so erheblich, dass Hitze in der Praxis entsteht, damit die Dinge in Fahrt kommen?
Es ist keine Theorie, sondern eine bestimmte Qualität von Tun. Und zwar von Mal zu Mal.
Einübung ist entscheidend. Aber –  jedes Mal ist anders.
Damit die Muse sich bei uns niederlässt, müssen wir ihr den roten Teppich ausrollen. Immer wieder und immer wieder. Das geschieht nur durch regelmässigen Dienst. Mit Hingabe. Mit Geduld und Beharrlichkeit.
Wir müssen uns der Sache widmen.
So richtig los geht es also erst, wenn wir uns als Person essentielle Qualitäten aneignen. Wenn wir Tugenden kultivieren.

Es geht nicht nur ums Einsteigen und Wieder-Einsteigen in den Fluss.
In der Ruhe liegt die Kraft, sagt man. Was aber ist unsere „tätig-ruhende Mitte“?
Mein Gitarrenlehrer pflegte über die tägliche Praxis zu sagen: „Nur ein Drittel der Übezeit sollte Technik sein. Der ganze Rest, zwei Drittel, ist Spielen. Ist Musizieren.“

In der kreativen Mitte ankommen. Bei einer Ko-Präsenz von Hitze und Entspanntheit.

Fokussiert. Konzentriert. Voll im Prozess. Ohne einen anderen Gedanken als jenen, ganz bei dem zu sein, was gerade in diesem Moment geschieht.

So sollte Schreibpraxis sein.

Donnerstag, 3. März 2016

Warum dein eigenes Buch schreiben?



Bis wir beim Schreiben an den Punkt kommen, wo wir Leichtigkeit gewinnen und uns nicht mehr an unserem Ego selbst überladen, braucht es Einiges. Es  braucht Glück – oder eben Know-How. Wissen ums Wie. 
Das Entscheidende bleibt stets im Verborgenen. Also müssen wir uns ums Verborgene kümmern. Nicht ums Sichtbare. (Zumindest nicht in jenem Moment, wo wir die Türe öffnen, damit die Welle der Kreativität hereinschlagen kann.)
Du schreibst  d e i n  eigenes Buch. Stell dir das einmal vor! Dies ist eine Möglichkeit des Da-Seins. Das Leben bietet uns die Möglichkeit, unser eigenes Buch zu schreiben. Ein Buch, welches nur wir selbst schreiben können. Niemand anderes kann es. (Wir können überdies in Verehrung erstarren für jene Wenigen, die es getan haben und immer wieder tun.  Aber das bringt uns auch nicht näher an die Quelle, aus der wir uns eigentlich nähren wollen. – Denn wir ahnen: Auch wir haben ein Anrecht darauf. Julia Cameron spricht zum Beispiel vom „Recht zu schreiben“, das wir alle hätten.)
Ja. Oftmals haben wir den Impuls. Aber er verebbt rasch, wenn wir unsere Eingebung in die Tat umsetzen wollen.  Gibt es am Ende gar keine Brücke zwischen Impuls und Realisierung?
Doch, es gibt sie.
Wenn du dein eigenes Buch schreibst, hast du etwas in der Hand. Und zwar schon, bevor du die gedruckte Ausgabe in Händen hältst. Du hast Anhaltspunkte. Du hast den Faden aufgenommen, du spinnst ihn weiter. Du bist eingetreten in den Zustand der Inspiration. Wirklich, der Zustand der Inspiration beginnt, sobald du schreibst. Und wenn du weiterschreibst, hält er an. 
Wage das Wagnis! 
Arbeite an deiner Sprache. Finde Sprache. 
Gewinne neue Perspektiven, finde die Ausblicke ins Weite. Werde weit blickend.
Gib deinem Leben Bedeutung und lerne aus Vergangenem. 
Dein Buch kannst nur du s e l b s t schreiben.
Und in diese Richtung möchte ich dich begleiten.